Endlich…. Nach über einem halben Jahr hartem Wartens war es wieder soweit. Es konnte endlich das Innsbrucker Alpine Trailrun Festival abgehalten werden. Nachdem die meisten Wettkämpfe 2021 verschoben und schlussendlich komplett abgesagt wurden, war ich sehr froh darüber, wieder einmal an einem Wettkampf teilnehmen zu dürfen. Ich hatte zwar, ehrlich gesagt, nicht mehr mit dem Mail zur Zusage für die Teilnahme zum Trailrun Wettbewerb gerechnet, aber zum Glück war ich nicht ganz untrainiert und so fiel mir die Entscheidung, die Längste der sieben angebotenen Strecken zu machen, nicht allzu schwer.
Folgende Streckenangebote standen zur Verfügung:
Der K110 mit seinen 103 Kilometern und 4.400 Höhenmetern, den der Organisator treffend Master of Innsbruck getauft hatte. Zudem waren noch der K85 mit 85 Kilometern und 3.000 Höhenmetern, der liebevoll Heart oft he Alps Ultra genannt wurde und für den fortgeschrittenen und erfahrenen Trailrunner der K65 Panorama Ultra Trail mit 61 Kilometern und 1.700 Höhenmetern auf dem Programm. Wer sich mit dem Gedanken einen Ultra zu machen nicht anfreunden konnte, dem bot die Laufwerkstatt, so der Name des Organisators, auch eine Marathonstrecke, den K42 Trail Marathon mit 42 Kilometern und 1.600 Höhenmetern an. Für diejenigen, denen auch diese Distanz nicht ganz machbar erschien, gab es den K25 Trail Halbmarathon mit 25 Kilometern und 450 Höhenmetern oder einfach nur mal zum Reinschnuppern den K15 Rookie Trail Run mit seinen immer noch anspruchsvollen 14 Kilometern und 350 Höhenmetern. Wem das immer noch zu viele Kilometer waren, konnte es mit dem K7 Night Trail aufnehmen, der mit 7km und 373 Höhenmetern, wie der Name schon sagt, nachts zu bewältigen war. Dieser Lauf bot eine optimale Gelegenheit, die Herausforderung anzunehmen, einen Lauf, im Schein einer Stirnlampe, durchzuführen.
Die Startzeiten für die beiden längsten Distanzen machten mir etwas Kopfzerbrechen… Der Startschuss sollte um Punkt 23 Uhr erfolgen. Ich rechnete kurz nach und kam zu dem besorgniserregenden Ergebnis, dass ich die meiste Zeit des Rennens wohl im Dunkeln absolvieren musste. Es gab für mich aber auch einige Vorteile für einen Lauf in der Nacht. Dazu gehörte wohl, dass ich schon viel Erfahrung mit Nachtläufen gesammelt hatte und dass die kühleren Temperaturen einen geringeren Bedarf an Flüssigkeitszufuhr, sprich trinken, mit sich brachte. Trotzdem gab es viele Nachteile, wie zum Beispiel, dass man nicht so schnell unterwegs sein würde, weil man im Schein einer Stirnlampe den Weg suchen muss. Der größte Nachteil jedoch war sicher, die fehlende Sicht auf das Panorama.
OK, ein Läufer der vor hat sich in den vordersten Reihen zu positionieren, würde eh nicht viel Zeit haben, die schöne Landschaft zu genießen. Für mich ist es aber trotzdem ein wichtiger Punkt, um mich für so ein extrem langes Vorhaben motivieren zu können. Schöne Aussichtspunkte oder zumindest einmal ein „Aha Effekt“ nach einem langen, konzentrierten Blick auf den wurzeligen Trail ist eine schöne Ablenkung. Man kann die Strapazen für einen Augenblick vergessen und bekommt eine Bestätigung dafür, warum man sich solche Anstrengungen antut. Einen kurzen Augenblick kam ich in Versuchung, mich auf eine kürzere Strecke umzuschreiben, verwarf diesen Gedanken aber schlussendlich. Zudem kam dann noch, dass die komplette Mannschaft, mit der ich eigentlich an diesem Festival teilnehmen wollte, ihre Anmeldung zurückzog.
Ich war also auf mich alleine gestellt. Ihr meint, das ist man bei einem Ultra Lauf doch sowieso? Nun, dem kann ich so nicht ganz beipflichten. Während dem Lauf tut es einfach gut zu wissen, dass sich noch Jemand auf der Strecke befindet, den man kennt und der Ähnliches durchmacht wie man selbst. Ich war mir jedoch sicher, dass ich neuen interessanten Menschen auf diesen abwechslungsreichen Strecken begegnen werde. Diese kennen zu lernen ist für mich zusätzlich einer der positiven Aspekte, um an einem Trailrun Festival teil zu nehmen. Alle möchten nur das gleiche: Einen schönen Tag, soweit es möglich ist, zu genießen und sich an der schönen Landschaft in netter Gesellschaft zu erfreuen. Apropos…An einem schönen Tag… ach ja da war doch noch was… Mein Tag sollte sich überwiegend bei Nacht abspielen… Nun hacke ich dieses Thema aber endgültig ab… es führt kein Weg daran vorbei auf diesen über 100km in der Nacht zu laufen! „Ach was soll’s “ sagte ich zu mir. „Wir haben schon schlimmeres durch gemacht und es würde ja das einzige Ultra Rennen in diesem Jahr sein“. „Wir“… ok ich muss mir langsam sorgen um mich machen! Ich spreche schon im Plural über mich. Als Ultra Trailrunner sollte man vielleicht doch ein bisschen Verrücktheit mitbringen.
Der große Tag sollte kommen und ich war mir nun doch aufs Neue etwas unsicher, ob die Veranstaltung mit den ganzen Covid-19 Bestimmungen auch funktionieren würde. Als ich jedoch im Innsbrucker Tivoli Stadium ankam, legte sich meine Unsicherheit bald wieder.
Grund dafür war der herzlichste Empfang den ich seit Langem bei einem Rennen bekommen hatte. Ich finde, dass das angesichts der angespannten Lage, die wir in diesen Tagen und Wochen hatten, nicht selbstverständlich war. Sicher hatte es der Veranstalter durch die ständigen Änderungen zwecks Einhaltungen der Hygiene und Abstandsregelungen nicht einfach, aber dass er sich diesem Stress der Ungewissheit trotzdem ausgesetzt hat, müssen wir Ihm hoch anrechnen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei ihm bedanken, dass er es uns Läufern ermöglicht hat, uns mal wieder richtig auf den Pfaden austoben zu können. Die Atmosphäre war entspannt und das Rennen sehr gut organisiert. Alles klappte wie am Schnürchen: einchecken – Startnummer abholen – Wechselkleidung abgeben. Sicher… es waren nicht allzu viele Leute unterwegs, aber das fand ich nicht schlimm und ich konnte trotzdem das eine oder andere Schwätzchen mit einigen Teilnehmern und Freunden bei einem Kaffee führen. Dann zog ich mich in eine Ecke der Tribüne zurück, denn Plätze waren genug vorhanden, in denen man sich ungestört, von den aktuellen Hits des DJ gut beschallt, zurückziehen und etwas chillen konnte.
Langsam wurde es Nacht. Die Teilnehmer des K110 und K85, die um die gleiche Uhrzeit den Start auf einer nur unwesentlich anderen Laufstrecke hatten, trafen im Start -Ziel Gelände ein. Inzwischen hatte sich ein Freund von mir dazu gesellt und wir gingen nochmal die Liste unserer Ausrüstung durch um ja nichts zu vergessen. Man lässt sich einfach oft zu gern von Kleinigkeiten aus der Konzentration bringen, wie zum Beispiel, wenn Utensilien nicht an der gewohnten Stelle oder sogar überhaupt nicht vorhanden sind. Wir mussten feststellen, dass mein Freund ein paar Sachen nicht mit dabei hatte. Das war jedoch gar kein Problem, denn ich konnte Ihm schnell aushelfen. Was die Ausrüstung betrifft, bin ich immer gut vorbereitet und habe alles in doppelter, wenn nicht sogar in dreifacher Ausführung mit dabei. Wem geht schon gern das Klopapier aus oder wer hat nicht gerne einen Reserve Energieriegel bei der Hand, wenn der Blutzuckerspiegel total im Keller ist?! An der Ausrüstung sollte der Rennausgang also ganz sicher nicht scheitern.
Auf zur Startlinie! Vorher wurde noch Temperatur gemessen und kontrolliert ob der, inzwischen zu einem wesentlichen Kleidungsstück gewordene Mundschutz, vorhanden war. Alles war im grünen Bereich und nun musste nur noch schnell die Tasche mit den Wechselsachen für das Ziel abgeben werden. Dann stellten wir uns in den weitläufigen Startblöcken auf, um möglichst viel Platz zwischen jedem einzelnen Teilnehmer zu lassen, um die Abstandsregeln einzuhalten. Die vielen Helfer der Organisation kontrollierten die Einhaltung diesbezüglich stets gewissenhaft. Die Starter der beiden Startblöcke A und B, die zeitversetzt starteten, waren sehr diszipliniert und gut drauf. Dann noch ein letzter Versuch der Organisation, mit heroischer Musik und mit roten Leuchtfackeln richtig Stimmung aufkommen zu lassen und los ging es auf unsere heiß ersehnten Trails.
Als ich den Abstand zu den anderen Läufern hatte, riss ich meine Maske herunter und es kam ein Gefühl von ungeahnter Freiheit in mir auf. Hier gab es nur noch mich und die schönen Wege der Sillschlucht. Das vertraute Gefühl der weichen Erde unter meinen Füßen ließ mich die Sorgen der letzten Zeit vergessen. Hier gab es kein Covid-19 mehr und ich konnte endlich wieder das machen was ich wollte.
Doch bald kam die Müdigkeit auf, schließlich war es schon nach Mitternacht. Ich nahm etwas Geschwindigkeit heraus, denn es war ja noch ein langer Weg bis zum Ziel in Innsbruck. Ich bekam ein gutes Gefühl, dass es heute sehr erfolgreich für mich laufen würde und begann mich umzusehen, welche anderen Starter etwa mit meinem Laufrhythmus mithielten. Die Nacht mit einem Gefährten zusammen zu laufen hat sicher nur Vorteile, denn man kann sich bei der Suche nach dem Weg abwechseln. Schlussendlich stieß ich auf Joshua, der den K85 lief und der mir auf Anhieb sympathisch war. An diesem Zeitpunkt, nach ca. 15 km, waren wir nur 4 Minuten hinter der Führungsgruppe. Dann begann ein flottes Teilstück mit einem hügeligen auf und ab. Hier konnte man richtig Geschwindigkeit aufnehmen und wir gerieten in einen tollen Flow und es machte uns richtig Spaß hier so locker und flockig über die Waldwege zu schweben.
Auf einmal geriet ich auf einem nach außen hin, leicht abschüssigen Gelände zu weit in die Schieflage und…. knickte mit dem Fuß hart um. Ein stechender Schmerz schoss mir in die Glieder und es entglitt mir ein kleiner Fluch. Joshua und ein anderer Läufer der sich uns angeschlossen hatte, fragten mich gleich ob alles in Ordnung sei. Das ist das Schöne an dem Trailrunning Sport – alle geben aufeinander Acht und helfen sich gegenseitig, wenn man Hilfe braucht. Es ist nicht immer ein Gegeneinander, sondern auch ein Miteinander, um ans Ziel zu gelangen. Ich winkte gleich mit einer verneinenden Geste ab und sagte nur, dass ich umgeknickt sei und dass Sie weiterlaufen sollten. Ich käme gleich nach, sobald ich wieder laufen könne. Ich war eigentlich ziemlich zuversichtlich, dass ich den Schmerz wieder herauslaufen kann, wie ich das schon viele Male vorher gemacht hatte. Doch diesmal war es nicht so. Der Schmerz verging nicht und ich konnte auch nicht wieder anfangen zu laufen. Es ging nun endgültig steil bergauf und ich konnte zumindest gehend meine derzeitige Position halten. Doch nur nach kurzer Zeit holten mich nach und nach immer mehr Läufer ein. Das war nicht besonders förderlich für meine Zuversicht und ich beschloss mich bis zur nächsten Verpflegung durchzukämpfen.
Der Weg erschien mir ewig bis ich dort ankam und ich merkte mehr und mehr wie stark mein Knöchel pulsierte, vom nicht endend wollenden Schmerz ganz zu schweigen. Angesichts der Tatsache dass noch ca. 85km zu bewältigen waren, ich eigentlich noch keinen längeren Abschnitt abwärts gelaufen war, es noch dunkler um mich herum wurde als es eh schon war, blieb mir nichts anderes übrig, als etwas zu machen das ich bisher nicht oft gemacht hatte.
Ich tat das einzig Richtige:
Ich gab auf. DNF wie man es noch kürzer definieren konnte. Angesichts der Tatsache dass es wirklich keine vernünftige Alternative zum Aufgeben gab, war ich mit meinem Gewissen im Reinen. Es war die einzig richtige Entscheidung.
Was macht man um 2 Uhr morgens wenn man mitten in der „Pampa“ aufgeben muss?
Richtig, man sucht sich einen Helfer, der einem mit zurück zum Start nimmt. Zum Glück fand ich sofort zwei überaus freundliche Begleiter, die mich zurück nach Innsbruck nahmen. Sie waren sogar so freundlich, dass sie mir anboten, die wenigen Stunden vor Ihrem nächsten Aufbruch, bei Ihnen im kleinen Hotelzimmer übernachten zu können. Dafür war ich sehr dankbar. Dennoch wollte ich nur noch meine Tasche im Zielbereich abholen und mich in einer Ecke verkriechen. Ich rief vorbildlich die Notfallnummer des Veranstalters an, um mich vom Rennen abzumelden, damit nicht unnötige Suchaktionen ausgelöst werden würden. Ein Helfer, der mir schon vorher durch seine Freundlichkeit aufgefallen war, brachte mir meine Sachen. Ich war so dankbar dafür, mich nun trocken anziehen zu können, da ich ganz schön durchgefroren war. Top Service, wenn man bedenkt, dass es schon weit nach 3 Uhr morgens war. Noch schnell die Luftmatratze und den Ultra leicht Schlafsack ausgerollt und ich konnte mich hundemüde hinlegen. Was für eine Wohltat und Balsam für die geschundene Seele. Ich schlief auf der Stelle ein.
Zumindest für zwei Stunden, denn dann wurde ich von den Teilnehmern der kürzeren Strecken des IATF geweckt, die etwas verwundert, über mich in den Startbereich steigen mussten. Nicht gerade super positioniert…würde ich sagen…, aber ich hatte so spät in der Nacht und so müde wie ich war, wirklich nicht mehr darauf geachtet wo ich mein Lager aufschlug.
Der Blick zum wolkenlosen Himmel entfachte in mir sofort wieder die Lust zum Laufen. Ich stand auf und mir schoss sofort wieder ein Schmerz in den Kopf. Ach ja… da war doch noch was… Kacke.
Nun, wenn ich schon mal da war, könnte ich ja die ersten Finisher des K85 einlaufen sehen und bejubeln, wenn es sonst keiner darf…das wäre doch das Mindeste. Die armen Schweine laufen hier die ganze Nacht durch, sehen nichts von der Strecke und müssen dann auch noch ohne gebührenden Empfang ins Ziel laufen. Durch die freundliche Unterstützung einer der Helferinnen bekam ich die Information, dass sich alle meine Freunde aus meiner schönen Heimat Südtirol an den ersten drei Positionen befanden. Holla die Waldfee, das war ja mal eine Ansage und ich konnte mich für Sie freuen. Ich durfte Phillipp Ausserhofer zu seinem ersten Sieg in seiner noch jungen Karriere gratulieren. Jimmy Pellegrini, einer der erfolgreichsten Leuchttürme unseres Standes, kam kurz danach an zweiter Stelle an. Auf diesen Erfolg durfte man auch schon so früh am Morgen mit einem Bierchen anstoßen. Dann dachten wir eigentlich, dass der nächste aus unseren Reihen ankommen müsste, aber dem war nicht so. Es lief der Drittplatzierte ein und wir hießen ihn herzlich Willkommen und gratulierten Ihm ebenfalls. Dann, nur zwei Minuten später, humpelte sichtbar enttäuscht, unser Freund Ivan Favretto als Vierter ein. Er war beim letzten Abstieg, kurz vor dem Ziel, umgeknickt und musste so seinem Verfolger den Vortritt lassen. So nah sind oft Freud und Leid beisammen. Wir päppelten ihn wieder mit ein paar aufmunternden Worten und einem Gerstensaft auf und bald war seine Stimmung wieder etwas besser.
Das war sicher nur der Anfang von vielen Geschichten, die an diesem langen Tag auf und neben der Strecke geschrieben wurden. Es wurde gefeiert und Tränen sind geflossen. Es wurde Schweiß und auch der eine oder andere Blutstropfen vergossen. Geflucht wurde genauso, wie ein Gebet gen Himmel gerichtet. Der eine wurde mit einem erfolgreichen Finish belohnt, der andere nicht. Wichtig sind nur die guten Erinnerungen an dieses Abenteuer. Ich glaube, der Spaß und die Freude an der Bewegung in der Natur hat uns alle zusammengebracht und uns eine Weile die Probleme der Zeit vergessen lassen. In diesem Sinne sind wir alle von Erfolg gekrönt und können stolz auf unsere Leistungen sein.
Dem Veranstalter kann ich zur Ausrichtung unter diesen schwierigen Bedingungen mehr als nur gratulieren. Ich bin Ihm dankbar, dass er uns diese schöne Zeit geschenkt und uns einen wichtigen Teil des Lebens wieder nähergebracht hat. Die Freude an der Bewegung.